Allgemeine Vorbemerkungen
Das Bestreben der Landesregierung, den „Flächenbedarf“ für die naturschutzrechtliche Kompensation zu verringern, sehen die NaturFreunde S-H kritisch. Wir sind der Ansicht: Kompensation für unverbaute, verloren gegangene Flächen an Siedlung, Gewerbe und Verkehr braucht nicht nur „Qualität“, sondern auch ein zurück an Fläche.
Kompensationsflächen sind zwar knapp, auch sollen landwirtschaftliche Flächen erhalten bleiben, denn eine leichtfertige Bebauung von Ackerflächen widerspricht einer Flächen sparenden Siedlungsentwicklung und damit dem Ziel der Bundesregierung, den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag zu verringern. Doch statt - bei bis dato ungehemmter Bebauung – an Kompensationsflächen sparen zu wollen, muss vielmehr dem enormen Flächenverbrauch für Siedlung, Gewerbe und Verkehr in Schleswig-Holstein endlich Einhalt geboten werden. Die Landesregierung selbst hat sich dazu verpflichtet: „Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Leerstandes in Dorf- und Stadtkernen bei gleichzeitigem Wachstum von Neubaugebieten an den Ortsrändern ist ein Umdenken erforderlich, denn die Ressource Boden ist begrenzt und nicht vermehrbar.“ - Zitat der Landesregierung zur Einladung „Zukunftsdiskussion – Wie wollen wir unsere Flächen nutzen?“
Derzeit verbrauchen wir in Schleswig-Holstein rund drei Hektar Natur- und Landwirtschaftsflächen pro Tag für Siedlung, Gewerbe und Verkehr. Das entspricht einem Flächenverbrauch im Ausmaß des Großen Ratzeburger Sees mit zirka 12 Quadratkilometern in jedem Jahr. In einer begrenzten Welt mit begrenzter Fläche kann es keine endlose Expansion für Siedlung, Gewerbe und Verkehr geben, ohne unsere Lebensgrundlagen zu vernichten.
Für die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft hingegen werden in Schleswig-Holstein deutlich weniger als lediglich zwei Prozent der Landesfläche in Anspruch genommen. Etwa zwei Drittel dieser Flächen befinden sich sogar weiterhin in landwirtschaftlicher Nutzung. Gerade in agrarisch intensiv genutzten Regionen dienen Ausgleichsflächen auch als Rückzugsraum für bestäubende Insekten. So profitiert auch die Landwirtschaft von den Ausgleichsflächen.
Zum Bewertungsverfahren
Die entscheidenden Veränderungen der Ökokonto-Verordnung finden sich in Anlage 1, wo das Bewertungsverfahren festgelegt ist. Im Einzelnen:
Die Anhebung des Zuschlags Lage von 10 auf 15 Prozent des Basiswertes und die Einbeziehung der gesamten Fläche, unabhängig von der Frage, ob wirklich alles im Biotopverbundsystem/ Wildnisgebiet liegt, unterstreicht die Wertschätzung, die die Landesregierung dem Biotopverbund beimisst. Insofern wird diese Erhöhung von uns befürwortet.
Wir begrüßen zudem die geplante Ausdehnung des Zuschlags Lage auf Flächen, die nicht vollständig - aber doch überwiegend - im Schutzgebiets- und Biotopverbundsystem liegen. Dies folgt der Systematik der FFH-Gebiete, die auch einen Umgebungsschutz genießen.
Mit der Neuerung eines Zuschlags Gewässerrandstreifen wird der Biotopverbundsfunktion des Gewässernetzes Rechnung getragen. Bedauerlich ist, dass das bewährte Instrument des Ökokontos nicht auf das gesamte Gewässernetz angewandt wird oder wenigstens auf den gesamten Naturraum Geest, sondern sich auf die Vorrangflächen zur Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie beschränkt. Hier böte sich doch die Gelegenheit, das Ökokonto auf breiter Front als zusätzliches Instrument zur Minderung von Nährstoffeinträgen in die Oberflächengewässer zu nutzen. Die bisherigen Anstrengungen der Landesregierung zur Reduzierung des Nitratgehaltes der Gewässer mit dem vornehmlichen Instrument der freiwilligen Gewässerschutzberatung und einiger weniger Agrarumweltmaßnahmen für Landwirte haben nicht den von der EU verlangten Erfolg gebracht. Insofern ist der höhere Zuschlag zu begrüßen, nicht jedoch im Sinne einer angemessenen Kompensation; die Zuschläge erscheinen uns als zu hoch angesetzt (zur Problematik höherer Zuschläge siehe unten).
Den Ansatz Mindestbreite statt Mindestgröße betrachten wir als sinnvoll und richtig. Auch die Konstruktion einer höheren Bewertung breiterer Streifen ist grundsätzlich wünschenswert. Dieser Effekt wird sich allerdings nur bis zu einer bestimmten Breite bemerkbar machen. Die Erwartung, dass ein 170 Meter breiter Streifen stets noch wertvoller wird, wenn er noch 10 Meter breiter wird, und das über das Maß hinaus, das die 10 Meter dazu beitragen, erscheint uns fraglich. Darüber hinaus ist die laut Landeswassergesetz ohnehin gesetzlich vorgeschriebene Mindestbreite (ein Meter) für den Gewässerrandstreifen bei der Bewertung herauszurechnen.
Problematisch erscheint uns, dass die Bewertung der Fläche sehr hoch ist und zudem zusätzlich zu anderen Zuschlägen gewährt wird, obwohl es sich hier systematisch um einen Zuschlag Lage handelt. Wir betrachten dies als ein unnötiges Zugeständnis an die Flächenbesitzer. Das lehnen die NaturFreunde in dieser Form ab. Dadurch wird in der Summe weniger Ausgleichsfläche erforderlich sein. Dies ist jedoch nicht im Sinne des Naturschutzes. Ein Ausgleich, der de facto ohnehin kaum gegeben sein wird, wird so nochmals abgeschwächt. Naturschutz braucht Fläche. Stattdessen ist zu überlegen, wie der Zuschlag Lage auch auf die Gewässerrandstreifen anzuwenden wäre.
Die Zuschläge Biotop und Artenschutz sollen künftig erst voll angerechnet werden, sofern ein Erfolg nachgewiesen ist - „spätestens bei Ausbuchung“. Der gedankliche Ansatz, dass sich die Bemühungen um Biotop- und Artenschutz nicht auf die Festschreibung und/ oder Durchführung als sinnvoll erachteter Maßnahmen beschränken dürfen, sondern dass diese auch zum Erfolg zu führen sind, ist zweifelsohne ein Fortschritt. Gleichwohl ist zu sehen, dass diese Maßnahmen damit stets im Vorgriff auf ihre Anrechnung zu verwirklichen sind, häufig Jahre vorher, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Das mindert die Attraktivität dieser Zuschläge deutlich. Wichtig erscheint uns daher, dass die Antragsteller vorab glaubhaft darstellen müssen, dass die Aussicht auf Erfolg für ihre geplanten Maßnahmen von vornherein als hoch wahrscheinlich einzustufen sein wird.
Offen gelassen wurde die Frage, wer den postulierten Erfolg wie feststellt. Hier lautet der Vorschlag der NaturFreunde, bereits vor Beginn der Maßnahmen den Maßstab für die Zielerreichung zu definieren. Dieser sollte möglichst klar und einfach sein, da es wohl der zuständigen Naturschutzbehörde obliegen dürfte, den Erfolg festzustellen (Bsp.: Kammmolch vorhanden? ja/ nein). Es handelt sich um eine zusätzliche Aufgabe, die dem Konnexitätsprinzip unterliegt; die NaturFreunde hegen aufgrund bisheriger Erfahrungen wenig Hoffnung, dass die unteren Naturschutzbehörden hierfür tatsächlich zusätzliche Mitarbeiter oder zusätzliche Finanzmittel bekommen werden. Einem weiteren Vollzugsdefizit ist also vorzubeugen. Alternativ wäre der Erfolg durch den Vorhabenträger nachzuweisen, wenngleich diese zusätzlichen Kosten die Rentabilität der Ökokonten mindern.
Eine stärkere Förderung der besonders bedrohten trockenen und nährstoffarmen Lebensraumtypen halten wir für sinnvoll und gerechtfertigt (Zur Problematik höherer Zuschläge siehe unten).
Den geplanten Zuschlag Entsiegelung halten wir fachlich für dringend erforderlich. Tatsächlich ist Entsiegelung jedoch regelmäßig mit immensen Kosten verbunden und wird daher wohl völlig unattraktiv bleiben. Hier wären bedauerlicherweise lediglich Mitnahmeeffekte zu erwarten. Das darf nicht Ergebnis einer rechtlichen Regelung sein. Vielmehr muss es Sinn und Inhalt der Ökokontoverordnung sein, zusätzliche Maßnahmen für Natur und Landschaft zu erreichen-
Zu den sonstigen Regelungen
Der Öffentlichkeit soll künftig ein einfacher Zugang zum Kompensationsverzeichnis geboten werden, das begrüßen wir. Entscheidend muss sein, dass die betroffenen Grundflächen kartographisch (statt nur in „geeigneter Form“) dargestellt werden müssen. Damit wäre es für Informationssuchende nicht notwendig, die genaue Flurstücksbezeichnung zu kennen.
Die Antragstellung soll auch elektronisch erfolgen dürfen. Das halten wir für bearbeitungsfreundlich. Leider ist die Formulierung so, dass eine Antragstellung in Papierform weiterhin zwingend erforderlich sein soll. Dies halten wir aus Gründen des Ressourcenschutzes für verzichtbar. Im internen Verkehr, also zwischen den Behörden, ist man da fortschrittlicher (§ 2 Abs. 3 letzter Satz). Ggf. bieten Password-geschützte Formulare oder andere Lösungen Sicherheitsmöglichkeiten.
Für sinnvoll halten wir die Ausweitung der Gebietskulisse auf die geplanten Wildnisgebiete. Diese wurden aber noch nicht festgesetzt. Sie sind erst für die noch auszuweisenden Landschaftsrahmenpläne vorgesehen. Da das Verfahren hierfür noch nicht begonnen hat, ist das ein Wechsel auf die Zukunft.
Mit der Schaffung einer Zustimmungsfiktion wird das Ziel einer Verfahrensbeschleunigung verfolgt. Das ist zu begrüßen. Bedauerlich bleibt, dass hier allein die Forstbehörde im innerbehördlichen Verfahren unter Zugzwang gesetzt wird. Wünschenswert wäre es, eine Genehmigungsfiktion für das gesamte Verfahren einzuführen, ggf. dann auch mit einer deutlich längeren Fristsetzung als sechs Wochen (z. B. drei Monate).
Unsere grundsätzliche Kritik
Grundsätzlich kritisieren wir an dieser Novelle, dass sie den Ausgleich "billiger“ und den Flächenverbrauch einfacher macht. Für die NaturFreunde muss ein Ausgleich naturschutzfachlich Stand halten können. Dafür ist die Fläche immer ein wesentliches Kriterium. Naturschutz braucht Fläche. Die Landesregierung hat an nachvollziehbarer Stelle die Zuschläge erhöht, war aber offensichtlich nicht gewillt, wieder ein Gleichgewicht herzustellen, indem sie an Stellen, die weniger bedeutend sind, die Wertigkeit von Flächen und Maßnahmen herabstuft. Damit fügt sie der schon problematischen Politik der Verzinsung weitere Elemente hinzu, die die tatsächliche Fläche für den Naturschutz vermindern. Umwelt und Natur bleiben letztlich durch einen fehlenden Zwang zum Flächensparen auf der Strecke. Durch die vorgesehene Aufwertung von Flächen wird das Land tendenziell in „Schutz- und Schmutzflächen“ aufgeteilt. Am Ende könnten wenige einzigartige Naturflächen einer weitestgehend zerschnittenen, zersiedelten Landschaft gegenüber stehen.
In der Diskussion um den Flächenverbrauch zählen die Grundbesitzer, i.d.R. Landwirte, gern auch die Ausgleichsflächen mit. Dabei ist es die Aufgabe der Ausgleichsfläche, den Flächenverbrauch durch Siedlung, Gewerbe und Verkehr ökologisch auszugleichen. Dieser weist für Schleswig-Holstein für den Zeitraum von 2000 bis 2009 sogar die höchste prozentuale Zunahme der Flächenversiegelung aller Bundesländer auf. Für die Kompensation hingegen werden derzeit weniger als zwei Prozent der Landesfläche in Anspruch genommen, die zudem überwiegend landwirtschaftlich genutzt werden. Hier erwarten wir von der Landesregierung gegenüber der Agrarlobby Rückgrat zu beweisen. Eine weiter zunehmende Inanspruchnahme von Natur und Landschaft erfordert gesellschaftliche Anstrengungen und Konzepte um den Flächenverbrauch zu stoppen. Die ÖkokontoVO darf hier keine Erleichterungen bieten.